Interessante Einblicke in die Realität der Cloud bot eine Veranstaltung des eBusiness-Lotsen in Stuttgart. Ein Lehrbeispiel dafür, wie weit Theorie und Praxis bisweilen auseinander liegen können.
Wenn man vom Füllungsgrad des Saales ausgehen darf, trifft die Cloud bei kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) auf durchaus großes Interesse. Der eBusiness Lotse hatte am 16. September in der IHK Stuttgart zu einer Infoveranstaltung geladen. Ein Mix aus Basisinformationen, Hilfsangeboten zur Orientierung und Praxisbeispielen – sowohl von Anbieter- als auch Anwenderseite – versprachen eine bunte Momentaufnahme.
"Cloud ist, wenn Du deine Daten in der Cloud speicherst. Dann kannst Du von überall auf Deine Dienste zugreifen" – bereits vor Beginn der Veranstaltung erläuterte ein Teilnehmer tiefgründig seiner Nachbarin das Konzept der Cloud. Erinnerte mich fatal an einen Text, den Walt Mossberg mal vor fünf Jahren geschrieben hatte: "At its most basic level, the cloud is simply the Internet". Bereits damals fand ich diese doch sehr eingeschränkte Sicht befremdlich. All die Jahre des Definierens und Erläuterns für die Katz. Aber vielleicht ist es – nicht mal gänzlich zu Unrecht – das Schicksal der Technologie auf ihre spürbaren und beim Anwender begreifbaren Auswirkungen reduziert zu werden. Aber es sollte noch besser kommen.
Dabei fing alles so cloud-konform an. Jürgen Falkner vom Fraunhofer IAO in Stuttgart (https://twitter.com/iaostuttgart), der schon seit vielen Jahren das Thema Cloud Computing landauf, landab erklärt, machte den Anfang. Er zitierte und interpretierte die maßgebliche NIST-Definition: Cloud muss schnell skalieren (sprich die IT-Leistung muss mit den Business-Notwendigkeiten wachsen und schrumpfen); die IT-Leistungen müssen aus Pools geteilter Ressourcen erbracht werden; verschiedene Nutzer müssen den Eindruck haben, auf ihrer eigenen IT zu arbeiten (Mandantenfähigkeit); der Verbrauch an IT-Ressourcen muss gemessen werden, um ihn später verbrauchsgerecht abzurechnen; die Dienste müssen on demand bzw. im Self Service nutzbar sein oder sogar automatisch über das Internet bereitgestellt werden.
Doch trotzdem existiert noch große Skepsis hinsichtlich Cloud Services. Welcher Anbieter ist vertrauenswürdig? Auf was sollten Nutzer bei der Auswahl achten? Sowohl das Fraunhofer IAO als auch der Verband EuroCloud (https://twitter.com/EuroCloud_DE) haben sich dazu Gedanken gemacht und Informationsmaterialien bereitgestellt. Der EuroCloud arbeitet sogar an einer Zertifizierung, die Unternehmen hilft, vertrauenswürdige Anbieter schnell zu identifizieren. Eine Datenbank mit passenden Anbietern soll zur nächsten CeBIT präsentiert werden. Andreas Weiss, der Direktor von EuroCloud, hielt aber auch fest: "Studien sprechen von 44 Prozent der deutschen Unternehmen, die bereits in der Cloud sind. Das glaube ich nicht." Und die Veranstaltung sollte ihm Recht geben.
Zuvor jedoch sprach Rechtsanwalt Carsten Ulbricht (https://twitter.com/intertainment) Rechtsthemen in der Cloud an. Im Vorfeld war es kaum zu erwarten: Aber das Rechtsthema sollte sich nicht nur als das diskussionsfreudigste, sondern auch als das unterhaltsamste erweisen. Ulbricht beantwortete bereitwillig Fragen mit Humor und Schlagfertigkeit und erläuterte das Konzept der Auftragsdatenverarbeitung als Lösung für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Bei den großen IT-Outsourcern ist diese Art Geschäftsbeziehungen zu regeln schon seit vielen Jahren etabliert. Die Cloud-Anbieter haben hier teilweise noch Nachholbedarf und verstecken sich hinter ihren AGBs.
Zuletzt stellte Yvonne Ossenbrink einen Cloud Service vor. Aber nicht irgendeinen – elastic.io ist eine Art Cloud-Adapter, technisch eine Middleware, die es ermöglicht, dass verschiedene Cloud Services miteinander "sprechen" können. Die Realität der Cloud-Welt hat nämlich mit Integration – auch wenn das Wort so gerne und häufig genutzt wurde – nicht viel am Hut. Jeder Anbieter kocht sein eigenes Süppchen, nutzt eigene Schnittstellen etc. Deswegen sind solche "Dolmetscher"-Dienste zumindest derzeit noch eine richtig coole Sachen. Für kleines Geld (die Rede war von 100 bis 150 € pro Monat für die Verknüpfung von zwei Cloud-Diensten plus eine einmalige Gebühr von 3.000 €) bekommen Unternehmen damit eine Lösung aus der Schublade, die die eingesetzte Cloud-Landschaft miteinander verbindet. Beispielsweise ein ERP-System mit einem CRM oder mit einem Mailingdienst. Wie das funktioniert, zeigte Ossenbrink anhand eines italienischen Online Shops für Mode, fabric house.
So weit war die Welt noch in Ordnung. So weit alles cloudy.
Und es sollte der Teil folgen, auf den ich mich am meisten gefreut hatte: die Anwenderberichte. Cloud meets Reality sozusagen. Leider blieb in der Realität von der Cloud recht wenig übrig. Durch die Bank waren spezifische Cloud-Lösungen nicht wirklich zu erkennen. Cloud Washing reinsten Wassers.
Im ersten Beispiel war vom Einsatz eines Buchhaltungsservice aus dem Web die Rede, bei dem sich der Nutzer darüber ärgert, dass er bisweilen (wenn viele Leute ihn nutzen) deutlich langsamer wird. Hört sich für mich wie ein Widerspruch zur Skalierung an. Dazu gab es eine Datenablage auf einem Netzwerk-Server (NAS). Im nächsten Beispiel wurde das Musterbeispiel eine Outsourcing beschrieben, IT aus eigener Hand in die Hände eines IT-Dienstleisters übergeben und im dritten Fall wieder eine Buchhaltungssoftware aus dem Internet. Für deren Einsatz im Jahrestakt bezahlt wird, aka klassische Lizenzgebühr. Dass alle diese Lösungen großartige Business-Mehrwerte bieten, konnten die Vortragenden eindrücklich belegen. Aber …
… den Cloud-Puristen läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken. Sie nennen es Cloud, aber es muss noch lange kein Cloud drin sein. In der Realität wird plötzlich alles als Cloud bezeichnet, was mit dem Internet zu tun hat. Walt Mossberg war offensichtlich ein Visionär. Und manchmal sind sogar Dinge Cloud, die nicht auf das Internet zurückgreifen: "Ich bekomme die Leistungen doch von einem Server – das ist private Cloud." "Ja, und wenn der ausgelastet ist und sie mehr Rechenkapazität brauchen?" "Dann stelle ich einfach einen zweiten daneben. Den kann ich mir ja vorher besorgen und dann einfach einschalten". Ah, das Leben kann so einfach sein. Cloud ist, wenn gerechnet wird. Moment, ich hole gerade meine Post-its in Wolkenform raus. Und einen Bleistift. Dann rechne ich mal was. In der Cloud … Sie ist überall …