Oktober, Orlando Magic mal anders: Gartner lädt einmal mehr zu seiner großen Jahresveranstaltung, der ITXpo, und verkündet die Trends, mit denen die IT das Business im nächsten Jahr verändern wird. Der Tenor: Digitale Transformation war gestern, wer vorne sein will, setzt auf "algorithmic business".
Es hat schon gute Tradition, dass Gartner jedes Jahr genau zehn Technologietrends formuliert, die maßgeblichen Einfluss auf das Geschäftsleben haben werden. Und die Analysten zeigen sich dabei überaus kreativ: Es sind keineswegs die üblichen Schlagworte Big Data, Mobile XY, Internet of Things und Cloud, die da fallen, sondern sehr viel einfallsreichere Prognosen. Jahr um Jahr verblüffend. Wenn man den Aussagen trauen kann, wird das nächste Jahr dasjenige sein, in dem die kreativen Visionen unzähliger Science-Fiction-Filme und literarischer Utopien Realität werden. Wir haben die Prognosen angeschaut und interpretiert.
Gartner ordnet seine zehn Trends in drei Rubriken:
Menschen werden immer stärker und häufiger über verschiedenste Endgeräte ("devices"), sowohl aktive als auch passive, in Kontakt mit der virtuellen Welt treten. Das Gitter ("mesh") der Eingangstore zwischen real und digital wird engmaschiger. Letzten Endes bedeutet das, dass nicht nur Smartphones uns – wenn wir mögen und auch wenn wir es nicht wollen – mit dem Internet verbinden: Wearables, elektronische Endgeräte (wie Fernseher, Musicplayer etc.) und Autos aber auch Sensoren tragen ebenfalls ihr Scherflein an Netzzugriff bei. Und die Daten aus verschiedenen Quellen werden nicht mehr isoliert gehalten, sondern miteinander verknüpft.
Der zweite Trend bildet die andere Seite der Medaille ab: Wo der Europäer die Gefahr der grenzenlosen Überwachung sieht, entdeckt der US-amerikanische Analyst das Potenzial zur perfekten Nutzererfahrung. Die vernetzte Umgebung sieht den Menschen (oder besser den Konsumenten) als aktiven Bestandteil des Netzes und umgibt ihn dauerhaft. Wie die Mobilfunkzellen das Smartphone übergeben, wird auch die Position und Interaktion des Menschen von Device zu Device übergeben, so dass ein komplettes Bild seines Verhalten und seiner Vorlieben entsteht, sodass er passend mit situativ passenden Angeboten adressiert werden kann. Willkommen im virtuellen Vertriebsraster.
3D-Drucker, oder sagen wir besser Fräsmaschinen, haben sich in den letzten Jahren schon manche Nische erobert. Die Erwartung ist, dass sich immer mehr Materialien über die "3d-Drucker" bearbeiten lassen, sodass auch Maschinenbauer über deren großtechnischen Einsatz nachdenken werden. Oder das Militär. Auch das ist Digitalisierung, wenn Waffenschmuggler einfach die Druckpläne für Waffen schmuggeln und dann mithilfe eines Druckers die Waffen "ausdrucken".
Dass nicht nur die Menschen, sondern auch die Maschinen an ihre Grenzen geraten, was die Verarbeitung von Informationen und Daten angeht, adressiert der nächste Punkt. Was uns die erste Rubrik als Zukunftsvision vorstellt, dafür soll die darunter liegende Trendebene die Voraussetzungen schaffen. In Wirklichkeit steckt die Verknüpfung verschiedener Datenquellen noch in den Kinderschuhen; es wird also kaum im Januar mit Ambient User Experience losgehen ;) Die verschiedenartigen Datenformate und Quellen müssen ausgewertet und abgeglichen werden, damit ein wirklich realistisches Bild entsteht. Denken Sie nur an die Empfehlungen für Einkäufe, die Sie auf verschiedenen Web- und Social-Media-Seiten erhalten. Und die zu ca. 80 Prozent daneben liegen ;).
Auch die Maschinen gehen den Gang der Business-Gesetze: Ihr Wertschöpfungsanteil muss sich erhöhen. Sie nehmen und Menschen zwar immer mehr Dinge ab, aber das, was übrig bleibt, ist immer noch genug. Für den einen oder anderen möglicherweise schon wieder zuviel. Die Maschinen müssen selbstständig lernen und komplexere Aufgaben übernehmen. Sie müssen lernen, Entscheidungen zu treffen und auszuwählen – so wie Menschen das tun. Um diesen Anforderungen zu genügen, braucht es laut Gartner advanced machine learning, in dem neurale (= selbstlernende) Netze selbstständig Entscheidungen treffen. Wenn Big Data also das Sammeln und Auswerten von großen Datenmengen ist, dann treffen Maschinen im advanced machine learning auch Entscheidungen oder bereiten sie zumindest vor. Das wird auch Auswirkungen auf das eine oder andere Stellenprofil haben …
Diese zusätzliche Intelligenz kann dann auch dezentral genutzt werden. In Sensoren, aber auch in intelligenteren Endgeräten wie Smartphones. Die werden dazu mehr zu Butlern als bisher, indem sie noch einfacher bedienbar werden (durch Gesten oder Sprache) oder uns besser verstehen und dann auf der Basis unserer Anweisungen auch mehrere und schwierigere Aufgaben übernehmen. Was wiederum Menschen entlastet – für Vergnügen oder für andere Arbeiten …
Im letzten Drittel der Prognosen geht Gartner auf die technische Ebene und spinnt den gedanklichen Faden weiter: Auch in puncto Informationssicherheit müssen Maschinen und Applikationen mehr Aufgaben übernehmen und ihren Beitrag leisten, um den neuen Bedrohungsszenarien zu begegnen.
Mehr Daten, mehr Auswertungen, mehr Funktionalität, mehr Intelligenz – das bedeutet letzten Endes mehr Rechenleistung. Die Analysten sehen in neuromorphen Architekturen die Antwort auf den steigenden Rechenbedarf. Klingt ein bisschen wie eine Kreatur, die aus einem Forschungslabor ausgebrochen ist. Und soll doch nur die Funktionsweise des menschlichen Hirns nachbilden. Eine wichtige Rolle für solche neuromorphen Architekturen spielen FPGAs (field-programmable gate arrays), in denen spezielle, komplexe Rechenaufgaben unabhängig von Clouds oder Rechnernetzen vorgenommen werden. Typische Beispiele sind heute die die Kodierung von digitalen Videosignalen oder die Verschlüsselung von Daten.
Neben der Sicherheit und der Systemarchitektur für die Basisrechenleistung wird sich auch das Design von Applikationen verändern. Das Design muss die Möglichkeiten von Cloud Computing nutzen, um dem Nutzer höhere Flexibilität in der Applikationsnutzung zu ermöglichen – damit Device Mesh und Ambient User Experience real werden können.
Immer mehr "Dinge" in der realen Welt werden vernetzt. Aber zum Wesen der Dinge gehört auch, dass die unterschiedlichen Anbieter der Vernetzung unterschiedliche Protokolle und Standards dabei verwenden. Damit wären wir in den praktischen Niederungen der schönen, neuen Welt angekommen. Erst funktionstüchtige Plattformen machen IoT einsatzfähig – wenn die Herausforderungen der Standardisierung gelöst sind.
Alles in allem fühlt man sich angesichts der Liste an eine Fülle von Science-Fiction-Filmen erinnert. Und nicht immer nur zum Guten. Sympathisch jedoch, dass Gartner durchaus auch den Blick auf die konkreten technischen Herausforderungen richtet, die noch bewältigt werden müssen, um die Welt der umfassenden Vernetzung von Menschen mit der virtuellen Welt zu bewältigen. Und das wird nicht von heute auf Morgen geschehen. Allerdings leistet das Marktforschungsinstitut mit seinen Prognosen den Entwicklungen natürlich Vorschub und wird das eine oder andere Unternehmen anstoßen, sich auf den Weg zu machen.
Bildquelle: The future of augmented reality, Dezeen