Der eine Ü65er kauft sich eine wii, der andere ein edles Schachspiel, der dritte einen PC für den Zeitvertreib. Kaufentscheidungen sind also nicht nur eine Frage des Lebensalters. Kaufentscheidungen müssen auch mit der Persönlichkeit des Käufers zusammenhängen. Lassen Sie uns einen Blick auf einen Erklärungsansatz dafür werfen. Dabei wird nicht nur klar, warum sich Menschen für unterschiedliche Produkte interessieren, sondern auch, ob es es die Zielgruppe “65plus”, die ich bereits in meinem vorhergehenden Beitrag thematisiert habe, überhaupt gibt.
Ein möglicher Erklärungsansatz für die Entstehung von Entscheidungen ist das Limbic®-Modell, das auf den Psychologen Dr. Hans-Georg Häusel zurückgeht. Demnach beruhen alle bewussten und unbewussten (Kauf-)Entscheidungen eines Menschen auf seinen individuellen Motiv- und Emotionssystemen im Gehirn. Es werden dabei drei Kernsysteme unterschieden, die sogenannten “Big 3”: Stimulanz, Dominanz und Balance. Diese Bereiche können bei Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Die Beschaffenheit der Big 3 beruht zum Teil auf Vererbung, wird jedoch auch durch Erziehung, Lebenserfahrung und Kultur geprägt. Diese Einflüsse zeigen sich im menschlichen Gehirn letztlich durch unterschiedliche Konzentrationen bestimmter Hormone.
Im Limbic® -Modell werden sieben Motiv- und Emotionstypen unterschieden (siehe Grafik). Diese werden aus den Kombinationen der Big 3 abgeleitet. Konsumenten lassen sich aufgrund der Beschaffenheit ihrer Motiv- und Emotionssysteme fast immer einem dieser Felder zuordnen. Die Abenteurer sind beispielsweise eine Kombination der Kernbereiche Stimulanz und Dominanz. Sie zeichnen sich insbesondere durch Risikofreude, Impulsivität und das Bedürfnis nach Autonomie aus. Dahingegen sind die Traditionalisten eher dem Balance-Bereich zuzuordnen. Sie werden durch Bescheidenheit, Ordnung und dem Wunsch nach Konstanz charakterisiert.
Im Lauf des Lebens verändern sich das Zusammenspiel der Hormone und damit auch die Motiv- und Emotionssysteme im Gehirn. Bei älteren Menschen gewinnt dabei vor allem die Balance-Dimension an Bedeutung. Die Folge davon ist, dass das Bedürfnis nach Sicherheit und Zuverlässigkeit wächst, während Risikobereitschaft, Durchsetzungsstreben und Neugier deutlich abnehmen. Ältere Kunden interessieren sich daher tendenziell für andere Produkte als jüngere.
Manche Menschen finden sich mit höherem Alter in einem komplett anderen Emotionsschwerpunkt wieder, bei anderen kommt es nur zu geringen Veränderungen. Es gibt somit zwar durchaus einen Zusammenhang zwischen dem Alter eines Menschen und dem Schwerpunkt seines Emotionssystems. Für die Segmentierung von Zielgruppen bildet dieser allerdings keine ausreichende Grundlage. Vielmehr sollten Kommunikationskanäle gewählt werden, die den individuellen Motiv- und Emotionssystemen der Konsumenten gerecht werden.
Die meisten älteren Menschen können einem der balanceorientierten Emotionstypen – insbesondere Harmoniser und Traditionalisten, jedoch auch Disziplinierte – zugeordnet werden. Zur Ansprache dieser Typen eignen sich vor allem Kanäle, die den Konsumenten besonders vertraut sind und daher eine hohe Sicherheit ausstrahlen. Dazu gehören beispielsweise Fernseh- und Printwerbung. Aufgrund der hohen Glaubwürdigkeit können auch PR-Artikel sehr wirksam eingesetzt werden. Informationen über diese Kanäle können in Ruhe und entspannt aufgenommen und verarbeitet werden. Neue Medien bedienen dahingegen das Bedürfnis nach schnellen Informationen und Interaktivität, weshalb sich diese eher für die Kommunikation mit den anderen Emotionstypen eignen.
Dies ist auch eine Erklärung dafür, weshalb nur ein kleiner Teil der älteren Menschen neue Medien nutzt – nur 44% der Männer und 24% der Frauen über 65 Jahren nutzen das Internet. Somit spielen neue Medien für diese Menschen zwar in der Gesamtbetrachtung eine geringere Rolle, sie sollten jedoch keinesfalls vernachlässigt werden. Denn es gibt durchaus auch Konsumenten dieses Alters, die zu den Offenen, Hedonisten oder Performern gehören und damit auch sehr gut über neue Medien erreicht werden können.
Die Mehrheit der älteren Menschen verfügt zwar über balanceorientierte Motiv- und Emotionssysteme. Es ist jedoch zu beachten, dass es auch zwischen diesen scheinbar ähnlichen Emotionstypen beträchtliche Unterschiede geben kann. Das möchte ich an einem kleinen Beispiel verdeutlichen:
Sowohl die Harmoniser als auch die Disziplinierten interessieren sich überdurchschnittlich stark für das Thema Garten. Dennoch geschieht dies aus ganz unterschiedlichen Bedürfnissen heraus, weshalb ihr Fokus auch auf verschiedenen Produkten liegt und dementsprechend jeweils andere Verkaufsargumente adressiert werden sollten.
Für die Disziplinierten ist der eigene Garten deshalb so interessant, weil er komplett ihrer Kontrolle unterliegt. Sie sind sehr ehrgeizig und legen einen hohen Wert auf Präzision. Überspitzt könnte man sie als Menschen beschreiben, welche jeden Grashalm in ihrem Gartenreich einzeln mit der Schere auf die richtige Länge stutzen. Ihr Ziel ist es, einen perfekten und makellosen Garten zu schaffen. Sie interessieren sich daher vor allem für Produkte, die sie bei ihrer Arbeit unterstützen, zum Beispiel Gartenwerkzeuge wie Heckenscheren oder Schaufeln. Bei der Produktwahl achten sie in erster Linie auf Präzision, Qualität und Funktionalität.
Die Hecken im Harmoniser-Garten brauchen nicht perfekt zugeschnitten zu sein. Im Gegenteil, es kann hier durchaus auch mal wuchern. Denn dieser Garten erfüllt einen ganz anderen Zweck. Harmoniser sind sehr naturverbunden und wünschen sich Geselligkeit. Ihr Garten ist ein Raum zur Entspannung, ein Ort, wo man sich mit Familie und Freunden aufhalten kann. Er muss gemütlich sein, weshalb Harmoniser sich eher für Produkte wie Sitzmöbel und Dekoration interessieren. Im Gegensatz zu den Disziplinierten steht bei ihnen nicht die Funktionalität einer Leistung im Mittelpunkt der Kaufentscheidung. Das Produkt muss vielmehr zur heimeligen Atmosphäre beitragen und ein Gefühl von Geborgenheit vermitteln.
Obwohl diese beiden Emotionstypen eher balanceorientiert und am besten durch Offline-Kommunikation zu erreichen sind, zeigen sich doch wichtige Unterschiede. Dem Harmoniser ist es ziemlich egal, auf wie viele Zwischenstufen sich die Schnitthöhe des Mähwerks eines Rasenmähers einstellen lässt. Der Disziplinierte wird dagegen eher weniger auf die Umweltverträglichkeit des Geräts in Bezug auf Energieverbrauch und Lautstärke achten.
Dieses Beispiel zeigt, dass auch zwischen den von älteren Menschen dominierten Emotionstypen unverkennbare Unterschiede bestehen. Es wird deutlich: die Zielgruppe “65plus” gibt es nicht. Es existiert zum einen keine plausible Altersgrenze, die als Kriterium zur Zielgruppensegmentierung dienen könnte. Zum anderen unterscheiden sich Menschen dieser Altersgruppe mitunter sehr stark voneinander. Es müssen daher andere Kriterien zur Abgrenzung herangezogen werden.
Einen alternativen Ansatz aus dem Neuromarketing habe ich in meinem Beitrag vorgestellt: die Segmentierung auf Basis der Motiv- und Emotionssysteme der Konsumenten. Diese Methode sollte übrigens keinesfalls exklusiv verwendet werden, da auch andere Faktoren – zum Beispiel der Gesundheitszustand einer Person oder die aktuelle Situation – das Kaufverhalten beeinflussen. Auch wenn ein solcher Ansatz mit einem höheren Aufwand verbunden ist als die bloße Ermittlung des Alters eines Konsumenten, ermöglicht diese Herangehensweise eine deutlich verbesserte zielgruppengerechte Ansprache. Diese trägt nicht nur dazu bei, Effektivität und Effizienz von Marketingmaßnahmen zur verbessern: Hätte ich bereits vorher gewusst, dass es sich bei der Dame aus meiner kleinen Einstiegsgeschichte im letzten Beitrag um eine stolze Disziplinierte handelte, wäre mir die anschließende Überraschung wohl erspart geblieben.