14 bis 49, 20 bis 59, 50plus – häufig werden im Zielgruppenmarketing Altersspannen verwendet, um Märkte zu segmentieren. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die sogenannte “werberelevante Zielgruppe” im TV. Bisher galt in der Branche die Altersgruppe der 14- bis 49-Jährigen als das Maß aller Dinge. Deren “Erfindung” Mitte der 80er Jahre war übrigens ein geschickter Vermarktungstrick der Privatsender, um Marktanteile künstlich hochzurechnen. Der Vermarkter von RTL, IP Deutschland, hat die Zielgruppe erstmals nach hinten verschoben. Inzwischen gilt 20 bis 59 Jahre. Auch in anderen Branchen wird über Anpassungen der Zielgruppendefinitionen diskutiert.
In diesem Zusammenhang wird häufig die Altersgruppe 65plus thematisiert. Und dies nicht nur wegen ihrer schieren Größe von inzwischen 16,5 Millionen Menschen in Deutschland, was 20,6% der Gesamtbevölkerung entspricht (bis 2020 werden es etwa 18,6 Millionen bzw. 24% sein). Die neue Generation der älteren Menschen gilt als selbstbewusst, autonom und sehr aktiv – und als äußerst konsumfreudig. Für die Beschreibung dieser Zielgruppe haben sich Marketingfachleute allerhand kreative Wortschöpfungen wie “Generation Silberlocke”, “Golden Agers” oder “Woopies” (well off older people) einfallen lassen. Doch wer steckt eigentlich hinter diesen Begriffen? Und ist eine solche Segmentierung überhaupt sinnvoll?
“Generation Silberlocke” – wer ist das überhaupt?
Alt, gebrechlich, einsam und verbittert? Das war gestern. “Man ist so alt, wie man sich fühlt!” Dieses Motto gilt heute wie nie zuvor. Das zeigt die Generali Altersstudie 2013, die sich mit der Zielgruppe der “neuen Alten” im Alter von 65 bis 85 Jahren beschäftigt. Demnach fühlen sich fast zwei Drittel der älteren Menschen jünger, als sie es tatsächlich sind. Das gefühlte Alter liegt im Schnitt zehn Jahre unter dem biologischen. Dementsprechend unternehmungsfreudig geben sie sich auch. An fünf von sieben Tagen sind sie außer Haus, besuchen Kinder und Enkel, treffen sich mit Freunden oder reisen durch die Welt. Sie haben dabei überwiegend eine positive Sicht auf das eigene Alter. Besonders schätzen sie die Verlangsamung des Lebensrhythmus, die Verringerung von Stress, Zwängen und Druck sowie den Zugewinn an Ruhe und Lebenserfahrung.
Die finanziellen Spielräume dieser Altersgruppe haben sich in den vergangenen Jahrzehnten überdurchschnittlich entwickelt. Zwei Drittel bezeichnen ihre wirtschaftliche Lage als gut oder sehr gut, mehr als die Hälfte wohnt in einer eigenen Immobilie. Es verwundert also nicht, dass die deutschen Rentner laut GfK mit einer Kaufkraft von insgesamt etwa 400 Milliarden Euro zu den wichtigsten Konsumentengruppen gehören.
Die vorgestellten Zahlen und Statistiken sollen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der neuen Generation um eine äußerst heterogene Zielgruppe handelt. Jeder Einzelne verfügt über die verschiedensten Lebensstile und Erfahrungen. Materielle (Stichwort Altersarmut) und gesundheitliche Situationen unterscheiden sich mitunter stark voneinander. Die Menschen werden von den unterschiedlichsten Motiven und Bedürfnissen geleitet – dazu mehr in meinem nächsten Beitrag.
Was die “neuen Alten” wollen
Die meisten Bedürfnisse der über 65-Jährigen unterscheiden sich kaum von denen jüngerer Zielgruppen. Der Haushalt muss täglich mit Lebensmitteln und anderen Haushaltartikeln versorgt werden. Die verfügbare Zeit wird für die Ausübung von Hobbys, Bildung oder für die Pflege sozialer Kontakte genutzt. Die größte Sorge und damit auch die größte Aufmerksamkeit gilt jedoch – fast ist man gewillt zu sagen “logischerweise” – der Erhaltung von Gesundheit und Selbständigkeit. Auch ein noch so junger Geist verhindert leider nicht völlig, dass mit zunehmendem Alter und nachlassender gesundheitlicher Verfassung der Bedarf an Unterstützung in vielen Bereichen steigt.
Dies gilt beispielsweise für den alltäglichen Besuch im Supermarkt. Die Orientierung in der Einkaufstätte wird schwieriger, Preise und Produktbeschreibungen sind weniger gut lesbar und der Transport der Produkte nach Hause fällt schwerer. Ein übersichtlicheres Sortiment, Lupen an Einkaufswägen und die Einrichtung eines Lieferservice können hier Abhilfe schaffen. Es besteht weiterhin ein hoher Bedarf an Gesundheits- und Pflegeprodukten, die dabei helfen, die gesundheitliche Verfassung zu erhalten bzw. zu verbessern.
Bedeutendes Thema: Wohnen und Pflege
Eine wichtige Rolle spielt bei vielen auch die Wohnsituation. Die große Mehrheit der 65- bis 85-Jährigen hegt nach wie vor den Wunsch, auch bei schwerer oder chronischer Krankheit möglichst lange selbständig in den eigenen vier Wänden zu leben (siehe Grafik). Dies ist jedoch oft nur mithilfe von Familienangehörigen oder durch den Einsatz ambulanter Pflegedienste möglich. Zudem müssen die Häuser und Wohnungen entsprechend ausgestattet werden. Allerdings beschreiben weniger als ein Drittel der Teilnehmer der Altersstudie ihre derzeitige Wohnsituation als altersgerecht. Wichtige Maßnahmen zur Verbesserung sind vor allem barrierefreie Badezimmer, die Vermeidung von Treppen sowie die Einrichtung eines Hausrufsystems, um schnell Hilfe rufen zu können.
Der Verbleib in den eigenen vier Wänden ist jedoch nicht immer möglich. In vielen Fällen steht dann der Umzug in ein Seniorenheim an. Auch hier wünschen sich die älteren Menschen möglichst viel Freiraum und Selbständigkeit. Ein eigenes Zimmer sollte es dann schon sein, am besten aber eine eigene Wohnung. Die Pflegekräfte sollten zudem ausreichend Zeit für die Betreuung und persönliche Zuwendung haben.
Mein kommender Beitrag im divia Blog setzt sich kritisch mit der Zielgruppendefinition “65plus” auseinander. Es wird dort außerdem ein alternativer Ansatz für die zielgruppengerechte Ansprache aus dem Neuromarketing vorgestellt.