divia Gmbh 21. November 2013

Energiewende von unten (1): Bürger als Stakeholder und Mitgestalter

Ökostrom: Bürgerenergiegenossenschaften prägen zunehmend die deutsche Energielandschaft. Quelle: istockphoto.com Ökostrom: Bürgerenergiegenossenschaften prägen zunehmend die deutsche Energielandschaft.
Quelle: istockphoto.com

Wie es genau gehen soll, ist umstritten. Doch bei einem sind sich alle einig: Energiewende per order di mufti, per Verordnung von oben, funktioniert nicht. Sie kann nur als Gemeinschaftswerk gelingen, wenn die Verantwortung für die Umsetzung dieses Jahrhundertprojekts auch „unten“, bei Herr und Frau Jedermann gelebt wird. So werden Bürger zu Stakeholdern; zu Faktoren, die Verlauf und Ausgang der Energiewende entscheidend beeinflussen.

Die Voraussetzungen für das Gelingen der Energiewende unter diesen Bedingungen sind günstig: Trotz einer überlagerten Kostendebatte sind die öffentlichen Zustimmungswerte gegenüber den Zielen der Energiewende spätestens seit dem im Juni 2011 beschlossenen Atomausstieg Deutschlands stetig über der 90%-Schwelle. Dabei ist diese Zustimmung nicht nur passiv. Vermehrt zeigen Bürger auch aktives, persönliches Engagement für die Energiewende. Das macht sie zu legitimen Mitgestaltern des Wandels und ermöglicht neue Formen der Kommunikation und Kooperation.

Bürgerenergiegenossenschaften auf dem Vormarsch

Deutlicher Indikator für dieses aktive Engagement der Bürger ist die positive Entwicklung der Bürgerenergiegenossenschaften. Der Erfinder der Genossenschaftsidee im Deutschland Mitte des 19. Jahrhunderts, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, wäre stolz: Gemeinsam initiieren, finanzieren und betreiben Bürger vermehrt eigene Windparks, Photovoltaikanlagen, Biogas und Blockheizkraftwerke.

Ende 2012 zählte die Leuphana Universität Lüneburg bereits 754 Energiegenossenschaften, 199 mehr als im Jahr zuvor. Auch in diesem Jahr stieg die Zahl der Bürgerenergiegenossenschaften stetig an; die Gründungszahlen liegen etwa auf dem Vorjahresniveau. So sind 90% der Bürgerenergiegenossenschaften in den letzten fünf Jahren gegründet worden. Mittlerweile vertritt die kürzlich eingerichtete Bundesgeschäftsstelle Energiegenossenschaften die Interessen von etwa 150.000 organisierten Mitgliedern. Weitere Impulse zum Thema bietet Daniela Becker in ihrem Artikel auf klimaretter.info: Hier liefert sie einen interessanten Überblick über die Landschaft der Genossenschaften im Energiebereich.

Etwa die Hälfte der Ökostromleistung in Deutschland ist „Bürgerenergie“.Quelle: trend:research, Leuphana Universität Lüneburg Bürger sorgen für etwa die Hälfte der Ökostromleistung. Quelle: trend:research, Leuphana Universität Lüneburg

Laut der Studie „Definition und Marktanalyse von Bürgerenergie in Deutschland“ des Marktforschungsinstituts trend:research und der Leuphana Universität Lüneburg ist der Beitrag der Bürger zur Energiewende fast viermal so groß wie der der Energieversorger. Mittlerweile kommt fast jede zweite Gigawattstunde Ökostrom (47%) aus Anlagen, die fest in Bürgerhand sind. Damit sorgen Bürgerenergieanlagen für 10% des in Deutschland verbrauchten Stroms. Dagegen haben die vier großen Energieversorger (E.ON, RWE, Vattenfall, EnBW) nur einen winzig kleinen Anteil von 5% an dem durch erneuerbare Energien erzeugten Strom, Stadtwerke kommen immerhin auf etwa 13%.

Energie als Faktor regionaler Wertschöpfung

Das Bürgerengagement in Energiegenossenschaften ist allerdings nicht ganz selbstlos. Denn oft spielt der Kostenaspekt die Hauptrolle. Selbsterzeuger sparen durch den Wegfall von diversen Umlagen, Abgaben, Entgelten und Steuern bis zu 17 Cent pro selbst genutzter Kilowattstunde. Für den Weiterverkauf von nicht selbst genutzten Strom fallen zwar die Netzentgelte an, doch in diesem Fall garantiert das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) den stromproduzierenden Bürgern dafür einen so hohen Preis, der nicht nur die Kosten abdeckt, sondern zudem Gewinn generiert; ein sicheres Geschäft also mit großen Gewinnmargen.

Zuzuschreiben ist dieser Effekt einem Paradoxon an der Leipziger Strombörse: Der relativ billige Strom aus erneuerbaren Energien kommt an die Strombörse und senkt dort im Mittel die Strompreise. Allerdings ist im EEG geregelt, dass diese Börsenstrompreise die Basis für die Berechnung der Mehrkosten für die erneuerbaren Energien darstellen. Die Mehrkosten sind in diesem Fall die Differenz zwischen Börsenpreis und die durch das EEG geregelten garantierten Einspeisevergütungen von erneuerbaren Energien. Wenn die Basis nach unten sinkt, wird diese Differenz größer. Die erneuerbaren Energien sind also Opfer Ihres eigenen Erfolges und werden nicht selten zu Unrecht als Preistreiber diffamiert. Hier muss die Politik reagieren und das System an den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien anpassen. Eine Reform des EEG ist unausweichlich.

Orte wie Haßfurt im bayerischen Unterfranken, Feldheim im Landkreis Potsdam-Mittelmark, die nordfriesische Gemeinde Friedrich-Wilhelm-Lübke-Koog oder das Solardorf Norderstedt bei Hamburg treiben Bürgerengagement für die Energiewende auf die Spitze: Hier leben die Bürger zunehmend energieautark und bauen sogar eigene Umspannwerke und 110-kV-Verteilernetze. In solchen Kommunen profitieren die Bürger mehrfach von ihrem Engagement: Die selbsterzeugte Stromversorgung ist garantiert und unabhängig vom Markt, überschüssige Energie kann gewinnbringend weiterverkauft werden und generiert somit regionale Wertschöpfung. Beispiele wie diese zeigen, wozu engagierte, emanzipierte Bürger im Stande sind.

„Wildwuchs“ bedroht Energieriesen

Nicht zuletzt aufgrund des hohen Bürgerengagements für die Energiewende ist der Ausbau der erneuerbaren Energien schneller als von der Politik geplant, vorangeschritten. Kürzlich forderte Bundesumweltminister Altmaier in einem Focus-Interview mehr Struktur im Ausbau von Erneuerbare-Energie-Anlagen: „Was wir vorhaben, ist ein fundamentaler Paradigmenwechsel bei der Energiewende. Weg vom unkontrollierten Wildwuchs, vom plan- und richtungslosen Ausbau der erneuerbaren Energien, hin zu einer stetigen, verlässlichen und bezahlbaren Entwicklung“.

Denn allmählich ist es sogar so weit, dass die erneuerbaren Energien beginnen, die deutsche Energielandschaft zu dominieren. Dabei gibt es eine Reihe von Verlierern. Durch die relativ günstige, dezentrale und immer noch wachsende Ökostrom-Konkurrenz bröckelt die Vormachtstellung der großen Energieversorgungsunternehmen (EVU) gewaltig. Klein gegen groß ist eines der Schlachtfelder der Energiewende.

Dabei haben es die großen EVU versäumt, sich frühzeitig an die Spitze der Stromrevolution zu setzen. Sie müssen sich vorwerfen lassen, die Dynamik der Bewegung zu lange unterschätzt und schließlich nur behäbig auf das schnelle Voranschreiten des Ausbaus der erneuerbaren Energien reagiert zu haben. Deutschland ist mittlerweile so durchdrungen von Bürgerenergiegenossenschaften, dass es die großen EVU schwer haben, noch adäquat nachzuziehen. Dafür zahlen sie nun den Preis: Die Energieriesen überbieten sich derzeit geradezu in Sachen Sparmaßnahmen und Massenentlassungen.

Dass derzeit überall in Deutschland Konzessionen für lokale Stromnetze auslaufen, in den letzten fünf Jahren über 60 Stadtwerke gegründet wurden und mehr als 170 Stromnetze rekommunalisiert wurden, setzt die großen EVU zusätzlich unter Druck. Ob letztendlich erfolgreich oder nicht, zeigen die Volksabstimmungen über Netzrückkäufe in Hamburg und Berlin, dass die Bürger die Kontrolle des Netzes nicht allein profitorientierten Konzernen überlassen wollen.

Emanzipation der Bürger

Fernab von der ebenso verbreiteten Konsumhaltung – frei nach dem Motto ein Hygiene-Produkt wie Strom müsse nur „ funktionieren und billig sein“ – hinterlassen die aktuellen Entwicklungen des Bürgerengagements für die Energiewende nachhaltige Spuren. Neben dem finanziellen Aspekt ist dies gleichzeitig ein Zeichen für die wachsende Emanzipation der Bürger von der etablierten Art und Weise, wie Großprojekte in der Vergangenheit umgesetzt wurden.

Während der öffentliche Diskurs gerade mal die Ausweitung der Bürgerbeteiligung diskutiert, sind die Bürger z.T. schon weiter: Hervorgerufen durch eine tiefe Vertrauenskrise den wirtschaftlichen und politischen Eliten des Landes gegenüber wollen Bürger nicht nur mitreden, sondern konsequent selber machen; und zwar mit den kreativen Ressourcen, die ihnen zur Verfügung stehen. Besonders in Zeiten rascher Veränderung und vor dem Hintergrund drängender, komplexer Problemlagen mag die bisherige Umsetzungspolitik von Politik und Wirtschaft auf Bürger zu langsam, zu intransparent und zu inkompetent wirken. Das zeigt sich auch bei der Energiewende. Selbstverantwortliches Bürgerengagement emanzipiert sich von diesem Betrieb und stellt sich diesem als erweiternde Handlungsoption zur Seite.

Energiewende = Kommunikationswende

Was also bedeutet das alles für das Hier und Jetzt? Betrachtet man die Entwicklung des bürgerschaftlichen Engagements für die Energiewende ist von der so oft zitierten Politikverdrossenheit wenig zu spüren. Im Gegenteil: Bürger sind selbstbewusst, haben einen ausgeprägten Partizipationswillen, wollen selber machen und betreiben so ganz bewusst Politik. Sowohl die etablierte Politik, als auch die Energieversorgungsunternehmen wären gut beraten, sich mit solchen "Strombürgern" pro-aktiv auseinanderzusetzen und ggf. mit Ihnen auf Augenhöhe zu kooperieren – sofern dieser Zug nicht auch schon abgefahren ist.

Denn diese neuen Artikulations- und Handlungsformen verändern die Bedingungen von unternehmerischem Handeln; es entstehen neue Möglichkeiten der konstruktiven Kooperation. Dieser Wandel ist somit eine Chance für Innovation; eine Form der kreativen Erneuerung, die nötig ist, um das Gemeinschaftswerk Energiewende gemeinsam erfolgreich zu gestalten. Dazu müssen sich Unternehmen ihren Stakeholdern öffnen, die Interaktion mit ihnen suchen und so nachhaltige Beziehungen aufbauen und pflegen. Dabei kommt Social Media eine Schlüsselrolle zu.

Fortsetzung folgt: Bürgerwiderstand beim Netzausbau

In meinem nächsten Blogpost setze ich diese Thematik fort: Am Beispiel des Netzausbaus im Zuge der Energiewende wird deutlich, wie sich die gestiegenen Partizipationsanforderungen der Bürger als Stakeholder in neuen Artikulationsformen äußern und wie wichtig es für den Erfolg eines Projekts ist, mit ihnen pro-aktiv zu kommunizieren.

 Dieser Beitrag wurde von <a href="https://www.xing.com/profile/JohannesTh_Noeldeke">Johannes Nöldeke</a> geschrieben
avatar

divia Gmbh

Beiträge von Gastautoren oder ehemaligen divia Mitarbeitern