Im einleitenden Artikel der Blogserie „IT im Wandel“ haben wir mit der Gegenüberstellung der traditionellen und modernen IT das Konzept „IT der zwei Geschwindigkeiten“ nach Gartner und Forrester beschrieben. Die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens, so der übergeordnete Konsens, hängt maßgeblich von der modernen IT-Infrastruktur ab. Im aktuellen Blogpost werden wir konkreter und widmen uns einem Ausschnitt der IT, – dem „Enterprise Service Management“, dessen Konzept zwar ein – im IT-Maßstab – alter Hut ist, aber gegenwärtig an Bedeutung gewinnt.
IT-Services und Prozesse sind inzwischen in nahezu jedem Unternehmen mit IT (Hardware, Software) und IT-Infrastruktur (Server, Netzwerke und Internetzugänge etc.) angekommen. Die entsprechend hohe IT-Service-Prozessreife in Unternehmen gründet insbesondere auf dem weltweit etablierten IT-Standard ITIL (IT Infrastructure Library), einem Set aus marktkonformen Best Practices für Prozesse, Rollen und Funktionen in der IT. ITIL wird seit über 20 Jahren unter fortwährenden Verbesserungen bei annähernd 90 Prozent der großen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland eingesetzt. Der Unternehmensberatung Research in Action zufolge beabsichtigen über die Hälfte der Business Verantwortlichen in Deutschland auf Basis von ITIL das IT Service Management auf Enterprise Service Management zu erweitern.
Enterprise Service Management dient aktuell als Schlagwort für das gewachsene Interesse einer gesamtheitlichen Betrachtung eines serviceorientierten IT-Konzepts unter Integration von Geschäftsprozessen und unternehmensinternen wie -externen Dienstleistungen (IT für Mitarbeitende und Kunden). Auch bei einer hohen Prozessreife stellen IT-Strukturen oft nur Silolösungen dar und werden vor allem den Service- und Workflow-Anforderungen von IT-fernen Fachbereichen nicht gerecht, wie in unserem 1. Teil der Serie ausgeführt. Das Entwicklungs- und Produktivitätspotenzial von ESM ist allgemein hoch.
ESM erweitert IT-Service-Management konzeptionell um (halb-)automatisierte Service-Standards in IT-fernen Unternehmensbereichen und ist somit Teil des weiter gefassten Business-Managements. Zu diesen Unternehmensbereichen gehören beispielsweise Personalwesen, Financial, Einkauf, technische Services, Außendienst-Services usw. Innovative Lösungen und Konzepte wie das des IT-Service-Brokers, Realtime-Analysen mit Big-Data oder sog. „soziale Erweiterungen“ im Bereich Help Desk fördern die effiziente Zusammenarbeit im Unternehmen und ebnen den Weg für die Automation und Analyse von bislang manuell gesteuerten Geschäftsprozessen. Die Tabelle zeigt exemplarisch Prozesse in IT-fernen Unternehmensbereichen, in denen Verfügbarkeiten und Prioritäten abgefragt und im Enterprise Service Management integriert sind.
Tabelle: Services on demand - Prozessbeispiele im Enterprise Service Management
Unternehmensbereich |
Servicebeispiele / Service-Lifecycle-Prozesse |
IT |
Workspace Management: Geräte- und Softwareverwaltung, Problem- und Störungsmanagement, IT-Bereitstellung, Compliance |
Personalwesen |
On-/Offboarding, Vertragsaushandlungen und -besonderheiten, Beförderung, Abrechnungen, Krankmeldungen (Stichwort: HR Self-Services) |
Facility |
Büromaterial (Inventarverwaltung), Umzüge, Gebäude-Management (Access, Erweiterungen, Energie etc.) |
Beschaffung |
Management von Anbietern/Zulieferern, Produktinformations-Management |
Schritte von ITSM zu ESM
Unternehmen haben allein auf dem deutschen Markt mit mehr als 250 Anbietern von Software- und SaaS-Lösungen die Qual der Wahl. Grundvoraussetzung für die Transformation des IT Service Managements jedoch ist die konzeptionelle Ausrichtung der IT im Business: IT-MitarbeiterInnen verständigen und beraten sich zu den Anforderungen der verschiedenen Fachbereiche im Unternehmen. Dabei ist der Einsatz eines internen „Kompetenzstabs“ von Vorteil. In diesem kann eine interdisziplinäre Auswahl von MitarbeiterInnen die Services kontinuierlich optimieren und gegebenenfalls zur Debatte stellen. Zum einen sortieren sie durch eine umfangreich unternommene Service-Inventur „Schatten-IT“ aus (Harmonisierung der IT-Struktur), zum anderen stellen sie die zukunftsträchtige Frage nach neuen Services, die in der Servicestruktur des Unternehmens integriert oder outgesourct werden sollen.
Vergleicht man die Servicequalität von bekannten Dienstleistungen für EndverbraucherInnen mit hiesigen Unternehmensdienstleistungen, stellen Führungskräfte in Deutschland eine große qualitative Diskrepanz fest. Das wird in der Studie „Today’s State of Work: The Service Experience Gap“ des IT-Providers ServiceNow deutlich. Während EndverbraucherInnen auf Online-Plattformen von Benutzerfreundlichkeit und Flexibilität durch Schnelligkeit und Konnektivität profitieren, sind sie in ihrer selbstständigen Arbeitsweise als Mitarbeitende im Unternehmen durch überholte Service-Systeme eingeschränkt. In der angeführten Studie geben 42% der deutschen TeilnehmerInnen an, unternehmenseigene Services würden immer noch vorwiegend via E-Mail, Telefon und Meetings abgewickelt werden. Die Formate selbst stehen weniger in der Kritik als ihr blinder Einsatz. Unter dem Aspekt von Effizienz und Effektivität ist z.B. für häufig wiederkehrende Vorgänge mit relativ hohem Koordinierungsaufwand eine zentrale Serviceplattform besser geeignet. Laut besagter Studie lassen sich die Kriterien für eine positive Benutzererfahrung im Hinblick auf eine effiziente Zusammenarbeit wie folgt indizieren:
- Einfache Bestellungen von und Anfragen zu Dienstleistungen
- Statusabfrage auch über mobile devices
- Schnelle Service-Prozesse von der Anfrage bis zur Bereitstellung
- Schnell und einfach zu findende Services und Produkte
- Statusmeldungen on demand
- Info-Meldungen zu voraussichtlichen Lieferzeiten
- Einfacher Vergleich von Services
- Vorschläge für Aktionen und Services auf Basis der aktuellen Beanspruchung
Die Integration von bereits privat viel genutzten digitalen Recherche- und Kommunikationsmöglichkeiten in unternehmenseigenen Services fördere, so der allgemeine Tenor, eine produktivere Zusammenarbeit unter Mitarbeitenden. Über messbare Werkzeuge, wie Chats, Wikis, intelligente Suchen (Stichwort Amazon, Google), Wissensdatenbanken und ähnliches, können Daten und Informationen im Sinne eines modernen, digitalen Arbeitsplatzes hochflexibel abgerufen werden (on demand).
Die Servicekultur wandelt sich: Service Broker als neues Rollenkonzept im ESM
Mit den strukturellen, digitalen Änderungen im Unternehmen wandeln sich auch die Rollen- und Skill-Profile: Vorhandene Rollen ändern sich und neue, wie der CDO – Chief Digital Officer, kommen hinzu. Ein neues Rollenkonzept im ESM ist der Service Broker. Seine Aufgabe ist es, Kunden im Servicebereich bedarfsgerecht zufriedenzustellen. Service Broker nehmen die Schnittstelle zwischen dem Service-Management-Anbieter, dem eigenen Unternehmen und Partnern ein. Sie erkennen und kommunizieren Serviceanfragen und die damit verbundenen Anforderungen.
Das Verständnis von konsequent und effizient zu verwaltenden Geschäftsprozessen unter Anwendung digitaler Management-Services braucht – neben einer intuitiv zu gebrauchenden technischen Lösung – die Unterstützung und Promotion auf Leitungsebene als auch die Akzeptanz der Mitarbeitenden auf operationaler Ebene. Eine entsprechend gelebte Servicekultur im Unternehmen ist neben vollständig und klar definierten Geschäftsprozessen, Rollen und Verantwortlichkeiten für die erfolgreiche Umsetzung von Enterprise Service Management entscheidend.